Nicht neu, aber aktueller den je – die Leipzig-Charta. Sie passt genau zur aktuellen Situation in Dinkelsbühl, denn: „Städte gehören weder den Politikern und Verwaltungen noch den Investoren.“

Was will die Leipzig-Charta?

Mit der Leipzig-Charta werden Grundlagen für eine neue Stadtpolitik in Europa geschaffen. Um dies zu erreichen, musste unter den Mitgliedstaaten zunächst eine Verständigung über ein gemeinsames Stadtverständnis erreicht werden („Europäische Stadt“).

Die Leipzig-Charta will die Idee der Europäischen Stadt neu formulieren. Dazu wendet sich die Leipzig-Charta gegen:

  • Einseitigkeit und Monotonie in der Stadtentwicklung. 
    Die Zeit einzeln optimierter Wohn- und Geschäftsviertel, überdimensionierter Einkaufszentren und großer Verkehrsflächen ist vorbei. Stattdessen empfiehlt die Leipzig-Charta, Wohnen, Arbeiten und Freizeit in den Städten wieder stärker miteinander zu vermischen. Dadurch werden die Städte spannender, lebendiger und sozial stabiler. Außerdem sind Städte mit einer starken Mischung von Nutzungen ökonomisch weniger krisenanfällig.
  • Einseitige Besitzansprüche. 
    Die Städte gehören weder den Politikern und Verwaltungen noch den Investoren. Die Leipzig-Charta macht deutlich, dass alle für die Gegenwart und die Zukunft der Städte verantwortlich sind und sich engagieren müssen: Bürgerinnen und Bürger, Politiker und Verwaltungen, Wirtschaft und gesellschaftliche Organisationen. Demokratische Staaten brauchen Demokratie vor Ort.
  • Verabsolutierte Einzelinteressen. 
    In der europäischen Stadt der Zukunft sollen nicht mehr isolierte Interessen wie etwa des Verkehrs, des Wohnens oder der Wirtschaft dominieren. Die Leipzig-Charta fordert, dass Stadtplanung ein Ergebnis eines öffentlichen Prozesses ist. In diesem Prozess müssen alle Ansprüche an die Stadtentwicklung gerecht untereinander abgewogen werden.
  • Ausgrenzung und Isolierung einzelner Stadtteile. 
    Die Leipzig-Charta setzt auf die soziale und kulturelle Integration benachteiligter Stadtteile und begreift diese Integration als eine der Hauptstrategien der internationalen Angleichung auf europäischer Ebene. Langfristiges und stabiles Wirtschaftswachstum ist nur möglich, wenn Städte als Ganzes sozial ausgeglichen und stabil bleiben.

Die Leipzig-Charta macht die Stadtentwicklung zu einem Thema mit europäischer Dimension. Sie konkretisiert das Modell der europäischen Stadt am Anfang des 21. Jahrhunderts, in dem sie die mit diesem Modell verbundenen Werte (Mit- und Selbstbestimmung der Bürger, Nutzungsmischung, Soziale Integration, öffentlicher Raum) anerkennt.

Was ist an der Leipzig-Charta neu?

Die Leipzig-Charta formuliert Ansprüche und bietet Strategien an. Neu ist die von allen Mitgliedstaaten akzeptierte Orientierung an den oben genannten Merkmalen der Europäischen Stadt. Konkret wird das in der Selbstverpflichtung,

  • die Strategie der integrierten Stadtentwicklung zu verfolgen und
  • der Ausgrenzung benachteiligter Stadtgebiete entgegenzuwirken.

Die Konkretisierung dieser Ansprüche und Strategien wird angesichts der zum Teil gravierenden Unterschiedlichkeit der Bedingungen in den 27 Mitgliedsstaaten unterschiedlich ausfallen müssen. Insofern ist die Frage, was an der Leipzig-Charta neu ist, in jedem Mitgliedstaat anders zu beantworten.

Gleichwohl stellen für die meisten europäischen Mitgliedstaaten

  • eine integrierte (das heißt an den Zielen der Nachhaltigkeit orientierte, bürgerorientierte und fachübergreifend konzipierte) Stadtentwicklungsplanung
  • die Akzeptanz der Tatsache, dass es benachteiligte Stadtquartiere gibt und dass es eine öffentliche Aufgabe ist, sich um diese Viertel zu kümmern

neue Ansätze staatlich/kommunalen Handels dar.

Neu ist außerdem das ausgesprochen intensive Engagement der Mitgliedstaaten bei der Erstellung der Leipzig-Charta. Mit mehreren hundert Beiträgen ist ein tatsächlich mitgliedstaatliches Dokument entstanden.

Wer soll was machen?

Aus dem Zusammenhang der Leipzig-Charta und deren Erarbeitung ergeben sich konkrete Aufträge beziehungsweise Selbstverpflichtungen:

Die Ministerinnen und Minister

  • verpflichten sich, in ihren Staaten die Anwendung des Modells der integrierten Stadtentwicklung zu prüfen. Damit sprechen sie sich aus für
    • Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung
    • die gerechte Abwägung der Interessen des Marktes gegenüber denen der Öffentlichkeit
    • eine bessere Koordinierung öffentlicher und privater Investitionen für und in Städten
    • die Berücksichtigung langfristiger Aspekte in der Stadtplanung
    • die gerechte Abwägung der Interessen des Marktes gegenüber denen der Öffentlichkeit
    • eine bessere Koordinierung öffentlicher und privater Investitionen für und in Städten
    • die Berücksichtigung langfristiger Aspekte in der Stadtplanung
  • sehen den Schwerpunkt der zukünftigen Stadtplanung in den Stadtzentren (Innenstädte). Sie stellen fest, dass es in Zukunft immer seltener um die Schaffung neuer Wohn- oder Gewerbegebiete geht, sondern darum, Wohngebiete zu modernisieren und alte Gewerbeflächen wieder für die Städte nutzbar zu machen. Mit dem Modell der integrierten Stadtentwicklung empfehlen die Ministerinnen und Minister explizit eine Strategie, Menschen, Aktivitäten und Investitionen wieder in die Innenstädte zu holen.
  • sehen in der Bewältigung des Klimawandels eine der zentralen Aufgaben der Stadtentwicklungspolitik.
  • erklären, dass Städte als Gesamtheit zu sehen sind. In den Städten kann es keine Inseln des Wohlstands in einem Meer der Benachteiligung geben. Langfristig kann es Wachstum und Wohlstand nur für die gesamte Stadt geben.

Zur Umsetzung dieser Ziele und Erklärungen wurden im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit den Mitgliedstaaten folgende Maßnahmen diskutiert. Die Mitgliedstaaten

  • müssen Stadtentwicklung als öffentliche Aufgabe akzeptieren. Dazu müssen sie die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Wirtschaft, einbeziehen.
  • akzeptieren als zentrales Instrument die integrierte Stadtentwicklungsplanung, verstanden als Konzept, das alle relevanten Interessen gleichzeitig und gerecht berücksichtigt.
  • müssen sich mehr um die Qualität des öffentlichen Raumes, der Straßen und Plätze, kümmern.
  • sehen großen Handlungsbedarf in der Modernisierung der Infrastrukturnetze.
  • verpflichten sich zur Steigerung der Energieeffizienz mit dem Ziel, dem Klimawandel entgegenzuwirken.
  • betrachten eine aktive Bildungspolitik – vor allem in benachteiligten Stadtteilen – als Schlüssel für eine positive Zukunftsentwicklung.
  • sind übereinstimmend der Meinung, dass die Städte baulich aufgewertet werden müssen. Dabei müssen baukulturelle Aspekte mehr als bisher berücksichtigt werden.

Die EU-Kommission wird aufgefordert

  • die Gesetzgebung beziehungsweise die auf europäischer Ebene entwickelten Richtlinien früher und besser mit der Anwendung vor Ort abzustimmen.
  • in der zukünftigen Förderpolitik (Strukturfonds) noch mehr die Probleme der Städte zu berücksichtigen. Die EU muss nicht nur einzelnen Branchen helfen, sondern vor allem solchen Regionen oder Stadtteilen, die von dem wirtschaftlichen Strukturwandel besonders betroffen sind. Denn die EUist nicht nur ein wirtschaftlicher Verbund, sondern auch ein soziales und kulturelles Projekt.

Kernaussagen

1. „Europa findet Stadt.“

75 Prozent der Einwohner Europas leben in Städten. Diese Städte sind Kristallisationspunkte der europäischen Integration. Außerdem sind die Städte traditionell Orte für Forschung und Innovation – und damit für wirtschaftliches Wachstum. Die EU-Politik braucht verstärkt eine urbane und territoriale Dimension. EU-Politik muss „räumlich werden“.

2. „Renaissance der Städte“

Die inzwischen erkennbare Renaissance der Stadtkerne muss durch abgestimmte öffentliche/private Projekte verstärkt. werden. Diese Renaissance bietet die Chance, die „kompakte europäische Stadt“ zu stärken. Die für die Stadtplanung zuständigen Minister sprechen sich nachdrücklich für eine Stärkung von Innenstädten aus. Die kompakte europäische Stadt ist gleichzeitig ein Beitrag zum Klimaschutz durch weniger Stadtverkehr und weniger Flächenversiegelung auf der „grünen Wiese“.

3. „Klimaschutz ist auch städtische Aufgabe.“

Fast drei Viertel des Weltenergieverbrauchs entfällt auf die Städte. Mehr Verkehr zu Fuß oder mit dem Fahrrad und ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr sind ein Gebot der Stunde. Gleichzeitig ist eine erhöhte Energieeffizienz von Gebäuden ein elementarer Beitrag zum Klimaschutz.

4. „Bürger mitnehmen“

Europa darf kein bürokratisches Gebilde sein. Europa ist dann glaubwürdig, wenn es als Sozialraum und Wertegemeinschaft konkret wird. Nur wenn das gelingt, wird der europäische Integrationsgedanke auf breite gesellschaftliche Akzeptanz stoßen. Insbesondere in den Städten stellt sich die soziale Frage besonders deutlich.

Es darf in Europa keine „no go areas“ geben. Die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung in Städten ist ein integraler Bestandteil der europäischen Wertegemeinschaft. Die Existenz benachteiligter Stadtbezirke gefährdet die Attraktivität, die Wettbewerbsfähigkeit, die sozialen Integrationskräfte und die Sicherheit in Städten.

Dabei ist mehr Bildung der Schlüssel für mehr Chancengleichheit. Gerade in benachteiligten Stadtquartieren müssen verstärkt solche Bildungsangebote geschaffen und verbessert werden, die an die Bedürfnisse und Defizite der dort lebenden Kinder und Jugendlichen anknüpfen.

5. „Die Stadt muss schön sein.“

Gerade auch unter dem Aspekt des zunehmenden Standortwettbewerbs zwischen Städten werden baukulturelle Aspekt der Stadtentwicklung immer wichtiger. Baukultur ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit. Baukultur gibt Impulse für Wachstum – in Zeiten, in denen es überall alles gibt, werden bauliche Qualitäten zu strukturpolitischen Instrumenten.

6. „Gutes Regieren in der Stadt.“

Stadtplanung ist nicht allein Aufgabe des öffentlichen Sektors. Partner für eine Stadtentwicklungspolitik der Zukunft ist zum einen die Zivilgesellschaft und zum anderen die Wirtschaft. Dies stärkt die Demokratie vor Ort. Zugleich kann damit eine größere Planungs- und Investitionssicherheit erreicht werden. Städte müssen mit ihren Nachbarstädten neue Partnerschaften eingehen. Die Stadt und die Stadtregion brauchen Visionen auf der Basis eines fairen Interessenausgleichs.

Quelle: www.bmu.de